Samstag, 24. März 2012

1.28 Deichkind


Ein bisschen Voodoo.
Lass dich befreien!
Das wird dir gut tun.
Das macht dich high.
Spirale dreht sich.
Was ist passiert?
Ist da etwa jemand ..
.. hypnotisiert?*
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Gruppentherapie, Konzertwahnsinn, Gaukler, Selbsterfinder.
Die stets einen neuen abgesägten Baumstamm flussabwärts reitende Formation Deichkind trägt unter Bandmitgliedern und Fans viele Namen. So viel Lob und Skeptik für eine Bande, die ursprünglich entstand wie zig andere Hamburger Hip-Hop-Projekte - aus Freundschaft, Spaß an der Freude und überzeugend schlagfertiger Performance am Mic. Sechzehn Singleauskopplungen später ist von diesem Hip-Hop zwar keine Spur mehr, doch kursiert ihr Name weitaus geläufiger als die der berühmten Kollegen. Kein Wunder: Sie verkaufen ihre Schiene durch und durch selbstironisch und sympathisch, wenn auch etwas leicht zugänglich und Party-orientiert, unterm Strich jedoch nicht mal annähernd so stuck-up wie viele aus der selben Ecke.
Warum die Jungs um Deichkind, DJ Phono, Kryptic Joe, Porky und Ferris Hilton, um einige Verantwortliche zu nennen, in den letzten zwei Wochen außgerechnet auf Strawpinion für Remmidemmi sorgten, erklär ich euch innerhalb der folgenden Absätze.

1 - Fachjargon
Dieses Lied ist leider nicht verfügbar in Ihrem Land : /
Unsere Antwort kennt ihr sicher, sie heißt: Widerstand!
6 Milliarden Terrabyte, die Leitung brennt wie nie.
Das hier ist kein Klingelstreich, das ist Anarchie!**

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Der Humor machts. Einmal gekostet, macht sich der Spaß, den Deichkind im Studio und auf der Bühne erzeugt, in den Köpfen der Hörer breit und zaubert ein breites Grinsen auf die schwermütigen Gesichter. Natürlich darf man nicht mit gigantischen Erwartungen an die Sache heran gehen, selbstverständlich sind sie nicht die Besten ihres Fachs, hauen willkürlich unter Gürtellinien und bedienen sich unter anderem auch primitiven, wenn auch wichtigen Punkten des Lebens. Wer will denn bitte nicht wissen, wer im Club der dicken Bäuche verkehrt? Wer möchte nicht erleuchtet werden, was auf dieser Welt leider geil ist? 
Doch egal ob sie es mit Mittelklasse-Hip-Hop oder Überdurchschnitts-Electronic tun - sie bringen ihre Meinung über die GEMA, oder den leider unaufhaltsamen Computerfortschritt unter dem allgegenwärtigen Apfelsymbol kurzweilig und präzise an den Mann. Und rappen sie nur über Drogen, dann kann man sich sicher sein jene Rauschmittel auch ohne Einnahme besser verstehen gelernt zu haben. Ja, ich muss fast meinen: Deichkind erfüllt erhobenen Hauptes einen äußerst anstrebsamen Bildungsauftrag. Das war den Herren vor dem Lesen dieser Zeilen sicher nicht einmal bewusst. Tja, Freunde - so kann's gehen.


2 - Rauf und wieder runter
Deine Zweifel waren groß -
niemand hat sich interessiert
Du spürst wie's langsam leichter wird,

das Schlimmste ist jetzt hinter dir!
Du bist noch ganz benommen,

wir sind bald angekommen.
Du brauchst jetzt nicht mehr zu weinen,

denn ich hab dich an die Hand genommen.***
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Doch auch anfassbare Formationen wie Deichkind fallen früher oder später hart auf die Fresse. Wechselnde Besetzung aufgrund interner Streitigkeiten, fehlender Charterfolg trotz bemühtem Marketing und schließlich der tragische Tod von festem Bestandteil des Freundeskreises, nicht zuletzt Produzent und Mastermind der Band, Sebastian Hackert. Der für den Mix verantwortliche "Papa der Gruppe" stand im Hintergrund, managete den Stil und sprang daher weit weniger in den berüchtigten Plastikkostümen an der Front herum wie es der Rest, der gut bebauchten Truppe, auf ihren Konzerten zu tun pflegten und pflegen. "Sebi" verstarb im Februar 2009, hinterließ Frau und Sohn, und eine ausschließlich von Freunden besetzte Gruppe, die ein grob geschätztes halbes Jahr lang nicht wusste wohin sie gehen sollte. Solche Zeiten wünscht man keinem.
Doch Deichkind entschied sich geschickt zum Weitermachen und sorgten mit dem Anfang des Jahres erschienen Album Befehl von ganz unten für ein weiteres Kapitel ihrer wiedergeborenen Bandgeschichte, bewiesen Skills in musikalischen Genres, die das Deichkind zu Gründungszeiten um die Jahrtausendwende nicht nachvollziehen könnte. Der neue Regisseur DJ Phono konzipierte über drei Jahre hinweg eine ausgeklügelt choreographierte Bühnenshow, ihrer Diskurs-Operette: Deichkind im Müll selbstverfreilich nicht unähnlich.
Ihr Produkt schwankt nach all dem immer noch stark zwischen Party-Proll und berauschender Kunst - sowohl der Livefokus als auch die erwürgend melancholischen, plötzlich erschreckend tiefen Redewendungen und Reime. Am Ende wird ein Nenner gefunden, wie auf dem 2008 erschienen Album Arbeit nervt, unter dessen Flagge eine für Jedermann zugängliche Aussage propagiert wird. Solche starken Tracks kommen nicht von Ungefähr, da liegt Planung und Arbeit dahinter.
"Für sich genommen ist unser Beruf durchaus stressig, auch wenn Außenstehende vielleicht denken, wir machen nur Unsinn", legte Phono in einem fast überzeugend ernsten Interview mit der TAZ fest. 

3 - Electric Super Dance Band
Hab ich gesagt machst du so?
Hab ich gesagt mach so!****

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Für mich bietet Deichkind stets gute Unterhaltung. Ich kann nach dem hundertsten Durchlauf der schrägsten Texte noch darüber lachen, bestechend gute elektronische Feuerwerke gibt's obendreien, das Konzert in Erlangen war eine beeindruckende Feier und in all dem melodischen Klangbrei, den ihr angeblich nicht wirklich erzieltes Genre hergibt, gibt es dank der vielen Einflüsse immer genug Intellekt zu finden, um sich nicht gänzlich geistig hängen lassen zu können. Die Aussage stimmt, die Aufmachung stimmt - alleine deswegen bieten sie also schon bessere Unterhaltung als jeder zweite amerikanische Independent-Film, mit dem man versehentlich seine Zeit verschwenden könnte.
Natürlich muss man sie lustig finden und politischen Messages, auf die du und ich auch kommen könnten, Platz lassen. Es soll Menschen geben, die sich trotz der in diesem Text genannten Argumente für Deichkind auch abschrecken lassen und die vielköpfige Truppe in eine der vielen Schubladen stecken, in die genug musikalische Acts hineingehören. Meiner Meinung nach hat sich die Formation das Tamtam jedoch hart erarbeitet und nicht nur irgendwie findet sich auf dieser Welt immer ein bisschen Platz für ihre Art Kunst. Die Dynamik ihrer Longplayer hat zudem einen Platz im Regal jedes Interessierten verdient. In trüben partylosen Tagen wird der eine oder andere Track doch noch ausgegraben. Und kommt ihr Befehl von ganz unten, so bleibt für die Zukunft wenigstens noch Raum nach oben.

StrawHat
(beendet die Deichkind-Special Week zu spät)
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STRAWPINIONS:

Absolute (unbekanntere) Anspieltipps: Flammenmeer (Teil 1), Evergreens, Slangdaddy, Show'n'Shine, Silberweidenpark, Ich und mein Computer, 23 Dohlen, Befehl von ganz unten****, Der Mond, Illegale Fans**, Pferd aus Glas
Absolute (bekanntere) Anspieltipps: Bon Voyage (feat. Nina), Limit, Voodoo*, Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah), Ich betäube mich (feat. Sarah Walker), E.S.D.B., Arbeit nervt, Luftbahn***, Leider geil (Leider geil), Bück dich hoch


LINKS:


"SCHAM IST EIN ZAUBERWORT" - TAZ-INTERVIEW: http://www.taz.de/!25120/

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